Sebastian (hommage a Robert Walser)

Sebastian

Sebastian (max)

Nach der blauen „Entspannung pur“ von Kneipp, der übrigens auch Sebastian hieß, braue ich mir jetzt noch einen dunkelbraunen Kaffee. Ich arbeite immer in der Küche, dem hellsten Raum der Wohnung. Hier habe ich keine Espresso-Maschine, wie bei mir zu Hause. Trinke einen starken Filterkaffee. Die Vögel pfeifen nicht mal mehr vereinzelt, wie bei meiner Ankunft vor fast vier Wochen. Nur das Kofferradio eines Bauarbeiters, hoch oben auf dem noch gerippigen Neubau in der Nachbarschaft des großen Hinterhofes, spielt mir unbekannte Lieder. Ich habe nur knappe 5 Stunden geschlafen, nach dem Abend mit Sebastian.

Kurz nach sieben Uhr gestern Abend habe ich ihn weggeholt von der Arbeit im „Whistlers“. Ralph kam dann zusammen mit einem Freund auch noch vorbei! Immer gut gelaunt und oft zur Situation passende Texte von, ich weiss nicht wem, „Zappa oder Dylan“ vorträllernd. Den richtigen Tonfolgen schenkt er dabei weniger Beachtung!! Schon sehr liebenswürdig!

Sebastian hat noch seine Bücherturm (sicher zehn Taschenbücher) im Laden stehen lassen. Die will er nicht den ganzen Abend mitschleppen. William Faulkner war natürlich mit dabei, viel mehr konnte ich nicht erkennen. Schlussendlich haben Sebastian und ich, nicht wie geplant, viel über Bücher und Musik gesprochen in den gut sieben Stunden unseres Zusammenseins! Wir waren uns in Vielem sehr schnell einig. Einen „Pere Ubu“-Auftritt hatte Sebastian im kleinen Konzertraum der zweiten Absteige, wo er zur „Coca Cola“ auch zwei „Klare“ (Himbeernachgeschmack) mittrank, gesehen.“Ahh David Thomas“, beide Daumen hoch, kurzes Lachen, mehr brauchten wir nicht auszutauschen. Wer David Thomas, seine Stimme und seine vorgetragenen Geschichten liebt – „Captain Beefheart“ aber sicher, „Zappa“ weniger und auch „Les Chants de Maldoror“ vom Comte de Lautreamont gelesen hat. Na also, über ihn wollte ich nun mehr erfahren.

Vorher waren wir im Café Grundmann. Haben dort eine Suppe gegessen, er eine „Kartoffelsuppe mit Würsten“ und ich eine „Rote Beete-Suppe“! Dort habe ich den noch zurückhaltenden Sebastian ein wenig ausgefragt. Er wohnt in Connewitz in einer 42m2 grossen Wohnung, das Haus aus den 1920er Jahren . Noch südlicher wie die Südstadt, wo meine „Bleibe“ liegt. Er lebt sehr zurückgezogen, momentan in keiner Beziehung! Liest viel und hört ebenso viel Musik! Geboren ist er 1981 in einfachen Verhältnissen in „Markkleeberg“ einer 25 000 Einwohner zählenden Kleinstadt, auch südlich von Leipzig. Die Stadt ist heute umgeben von Seen! Als er da aufwuchs waren das Gruben vom Braunkohletagebau! Er hat dort Abitur gemacht! Dann an der Uni von Leipzig ein „Amerikanistik“ Studium abgeschlossen. Als ich ihn dann gefragt hatte, wie er, als damals 8 jähriger die Wende erlebt hat, ist das Resteis geschmolzen! Er hat erzählt, und ich habe ihn gebeten mir heute einen kleinen Text zu schreiben für meinen Blog. Er hat ihn mir eben geschickt:

Anfang November 1989 (Kinder von Marx und Coca-Cola [nach Godard])

Ich erinnere mich an kaum etwas. Anfang November 89. Früh aufstehen. Mein Bruder auf Kur, also nur meine Eltern und ich. Ganz offiziell vom Schulunterricht befreit (fast jeden Tag fehlten Schüler/innen, weil sie nach „drüben“ fuhren). Fahrt in unserem champagnerbeigen Trabant Kombi. Nach Hof (Oberfranken). Warten: in Grenznähe ein Lichtermeer am finsteren Morgen. Unzählige Autos. Der Tag in Hof grau und verregnet. Wieder warten: Begrüßungsgeldstelle. Nur verschwommene Eindrücke von der Stadt selbst. Was blieb? ein graubrauner Pullover mit Micky-Maus-Aufdruck; ein erster Einkauf im Supermarkt (Grosso) – die erste Coca-Cola: große Enttäuschung! schmeckt fast wie DDR-Kirschcola (was mich aber nicht davon abgehalten hat, bis heute ein ganzes Meer davon zu trinken).

2. Besuch am 22. Dezember 89. Mein Bruder am Tag zuvor von der Kur zurück (Schreckmoment: der Trabi hatte kurzzeitig den Geist aufgegeben), diesmal also zu viert. Ziel diesmal Nürnberg. Erster Besuch bei McDonald’s: Junior-Tüte, erster Hamburger – so also schmeckt etwas, das ich für den Rest meines Lebens essen werde! Eine Frau spricht uns auf der Straße an: „Kommen Sie aus der DDR?“ – mein Bruder: „Ja!“ – sie (herzlich): „Frohe Weihnachten schon im Voraus“ – drückt meinen Eltern 100 D-Mark in die Hand. Auf in das nächste Sportgeschäft: Trainingsanzüge für Vati, Bruder und mich.

Sebastian Losert, 30.10.2014

Ich bin mir sicher, in Sebastian einen Freund gefunden zu haben mit dem ich weiter in Kontakt bleiben werde, auch wenn er selber seinen Text nicht so gut findet, wie er schreibt! Da bin ich nicht ganz gleicher Meinung !

max aus Leipzig

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